Kaum ein anderes Insekt hat in solch symbolträchtiger Weise Eingang in die Kultur und Mythengeschichte der Völker gefunden, wie es die Honigbiene getan hat. Eingewoben in Dichtung, Ritus und Religion hat sich der spezielle Charakter des Bienenvolkes vom Anbeginn der Menschheitsgeschichte bis weit hinein in die Neuzeit beinahe ungebrochen erhalten.Wir folgen der verschlüsselten Spur der kulturstiftenden Himmelsboten von der farbenfrohen Götterwelt Indiens über die staubigen Sonnenreiche der Pharaonen bis tief hinein in die nebligen Laubwälder des frühen, urtümlichen Europas.
Heilige Geometrie: Am Anfang steht das Hexagon
Von den schwarzen Basaltsäulen an der Küste Islands, bis hin zu den Augen einer Stubenfliege im heimischen Wohnzimmer – die Natur liebt das Hexagon. Diese Grundform heiliger Geometrie begegnet uns in mannigfaltiger Form auf mikroskopischer Ebene, genauso wie in größerem Maßstab. Das Sechseck ist eines der gebräuchlichsten und vollendetsten Wörter im unermesslichen Sprachschatz der Schöpfungskraft. Mit ihm zaubert die Natur kristalline Strukturen, lässt filigrane Schneeflocken entstehen und gestaltet die Zellwände von Pflanzen so widerstandsfähig, dass sie den Wetterbedingungen im Lauf des Jahreskreises perfekt angepasst sind.
So klar und deutlich wie in einem Bienenstock tritt uns jedoch die Verbindung zu einer übergeordneten und kreativen Schöpfungsgeometrie nur selten entgegen.
Die Assoziation mit dem Kreis ist im übrigen keine Zufällige. Das Sechseck entspricht der Aufteilung eines 360° Kreises in 6 Sektoren a 60°. Es hat sich gezeigt, dass das Hexagon perfekt dazu geeignet ist, größere Flächen sinnig zu füllen. Die so entstehenden Verbindungen der einzelnen Teile sind robuster und weniger anfällig für das Aufbrechen, als wenn zb. Dreiecke verwendet werden würden. Gleichzeitig wird immens Platz gespart. Das Sechseck bietet bei kleinstem Umfang den größten Rauminhalt.
So klar und deutlich wie in einem Bienenstock tritt uns jedoch die Verbindung zu einer übergeordneten und kreativen Schöpfungsgeometrie nur selten entgegen. Nicht nur in der Form selbst, sondern auch in der Funktion der einzelnen hexagonalen Wabenkammern liegt ein tieferer Symbolismus verborgen. Hier, im Schutz der Wabe, wächst die Zukunft des Bienenvolkes heran. Dem Hexagon entsteigt buchstäblich organisches Leben. Kein Wunder also, dass Vishnu, zu dem wir später noch kommen werden, eine tiefe Verbundenheit mit der Biene nachgesagt wird. Für den Bewahrer von Harmonie und Ordnung gäbe es wohl keine passendere Assoziation als den Bienenstock mit seinen sechseckigen Strukturen.
Die blaue Biene als Inkarnation Vishnus
Wir beginnen unsere kleine Exkursion durch die Geschichte, der Logik folgend, in der einstigen Heimat der Honigbiene. Genauer gesagt dem asiatischen Raum. Eine ganz besonders enge Beziehung gingen die Inder mit der Biene ein. Nicht nur deren Honig fand und findet auch heute noch Verwendung bei Hochzeitsritualen, das Insekt selbst wird als Verkörperung einer höheren Wesenheit angesehen.
„Wenn die Sonne aufgeht, schließt sie die Lotusblüte auf und befreit aus ihrem Kerker die Bienen“
Aus dem Gesang der naga-stämme
Diese frei wiedergegebene Stelle aus den Gesängen der Naga-Stämme Nordindiens drückt wunderbar aus, wie tief der symbolträchtige Charakter der Honigbiene in Bewusstsein und Religion der indischen Völker verankert ist. Denn Vishnu selbst, der an höchster Stelle des indischen Götterphanteons Harmonie, Licht und Ordnung in der Welt schafft, wird oft als Blaue Biene, ruhend im Kelch einer Lotusblume dargestellt.
Auch Krishna, eine der vielen Inkarnationen Vishnus, wird mit der Biene in Verbindung gebracht und nicht selten findet man Darstellungen Krishnas mit einer blauen Biene über dem Haupt. Die Farbe Blau symbolisiert hierbei den Äther, dem die Gottheit entstammt.
Von Krishna ist ein Legende überliefert, die für lange Zeit das zeremonielle Element der Indischen Bauern bei der Honigernte begründete. So soll die Gottheit eine seiner irdischen Geliebten in eine uns wohlbekannte Pflanze verwandelt haben. Diese Dame nahm die Gestalt des ocimum nigrum an, uns besser bekannt als Basilikum, welches ursprünglich aus dem asiatischen Raum stammt. Krishna ordnete an, dass fortan kein Gottesdienst mehr ohne die Anwesenheit dieser heiligen Pflanze gefeiert werden sollte. Die Bauern, überzeugt von der göttlichen Gegenwart in den Bienen, sollen daher bei der Honigernte bis zum heutigen Tage einige Blätter Basilikum bei sich tragen. Bienenzucht wurde in Indien also bereits früh zum religiösen Kultus.
Die Totenmaske des Pharaos
Aus der Urheimat unserer Honigbiene, dem fernen Asien, führt uns unsere Spurensuche in das Land der Pharaonen. Auch hier, im Reich der Gottkönige und deren monumentalen Nekropolen, im Schatten der Pyramiden, hat das kleine Insekt seine Spuren in der Geschichte hinterlassen. Genauer gesagt, findet die Beziehung zur Biene bereits im 4. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung Eingang in die Aufzeichnungen der Ägypter. Auch wenn aus alter Zeit nur wenig über die eigentliche Bienenzucht im Nildelta überliefert ist, so lässt sich doch schlussfolgern, dass die Menschen den Ordnungssinn und die Fähigkeit zur Bildung von funktionierenden Staaten, wie es bei den Bienen Veranlagung ist, genau beobachteten und zu deuten wussten.
Aus diesem Grund wird die Biene in Ägypten im Allgemeinen als das Symbol der Ahnenkönige verstanden und fand so Eingang in die geheimnisvollen Inschriften in den Nekropolen.
Nicht selten war den Königsnamen der Pharaonen oft der Zusatz »Fürst Biene« vorangestellt, was auf eine direkte und heilige Verbindung zwischen dem staatenbildenden Insekt und dem höchsten Mann im Staat verweist. Aus diesem Grund wird die Biene in Ägypten im Allgemeinen als das Symbol der Ahnenkönige verstanden und fand so Eingang in die geheimnisvollen Inschriften in den Nekropolen. Doch nicht nur als Symbol war die Biene im alten Ägypten hoch im Kurs, ihr Honig wurde teuer gehandelt und fand allerlei Anwendung in Heilkunst, Küche und Ritus, oft auch als wertvolle Opfergabe für die Götter.
So fand sie auch ihre Stellung im Totenkult der Ägypter. Da sie symbolhaft für Wiedergeburt und Reinkarnation stand, wurden den Toten oft Amulette mit ihrem Abbild als Grabbeigaben mit auf die letzte Reise gegeben. Hier drängt sich natürlich das Bild der Totenmaske des Tutanchamun förmlich auf. Erinnert deren gestreifte Haube nicht direkt an die Streifen einer Biene?
Es wundert also nicht, dass die Biene unter anderem als Sendbote des Himmels betrachtet wurde, auch wenn ihnen nicht direkt selbst Göttlichkeit zugestanden wurde. So berichtet eine Legende, die flinken und wertvollen Insekten seien aus den Tränen des Sonnengottes Ra entstanden. Wer hierzu mehr wissen möchte, dem empfehle ich folgende, sehr reichhaltige und wissenschaftliche Studie der Universität Mainz.
Die Biene als Mittler zwischen den Welten und Seelenbegleiter hat sich auch im europäischen Raum noch einige Zeit auf Grabsteinen erhalten. Das untenstehende Foto habe ich auf einem alten Friedhof in Franken gemacht, auch wenn hier offensichtlich die Verbindung zu einem arbeitsreichen und fleißigen Leben im Vordergrund steht. Dennoch ist die Verbindung zum Reich der Toten, verbunden mit der Hoffnung der Auferstehung erhalten geblieben.

Weisheit aus den Wäldern – Die germanischen Völker und die Biene
Wir schließen unsere Exkursion in die geheimnisvolle Welt der Biene mit einem Blick auf die heimatliche Mythologie. Man muss die Geschichte der Urstämme Europas mit der Biene und deren Zusammenspiel mit der Landschaft betrachten. Insbesondere die dichten Laubwälder müssen wahre Bienenhorte gewesen sein.
Festzustellen ist, dass die Bewohner eines damals noch waldreichen Europas keine Veranlassung dazu sahen, die Bienenzucht als solche zu kultivieren. Darüberhinaus, darin sind sich alle historischen Quellen einig, herrschte auch kein besonders tief entwickeltes Verständnis über Aufbau und die Abläufe in einem Bienenstock. Was man an Honig benötigte, wurde dem Wald als Wildsammlung entnommen, woraus sich langsam das Zeidelwesen als europäische Besonderheit entwickelte. Der Zeidler war darauf spezialisiert, Honig in den tiefen Wäldern aufzuspüren und war damit betraut, ihn zu ernten, sowie für die Verarbeitung des Wachses zu sorgen.
Auf mythologischer Seite tritt in der germanischen Mythologie daher wohl auch stärker der Honig, als die Biene selbst in Erscheinung. Als Göttertrunk und Opfergabe ist der Honig in Reinform und als Honigwein bekannt, aber auch als Quelle der Weisheit. Besonders stark tritt dieses Element der Mythologie in der Überlieferung zutage, die von Odins Met erzählt. Hierbei handelt es sich nicht um gewöhnlichen Honigwein. In diesem Falle ist er vermischt mit dem Blut des über die Maßen weisen Kwasir. Jeder der einen Schluck vom sogenannten Skaldenmet trank, dem wurde Einsicht in die hohe Dichtkunst geschenkt.
Auch die Kelten, die teilweise als »Kopfjäger« bekannt waren, nutzten den Honig für ihre ganz eigenen Zwecke. Es ist überliefert, das abgeschlagenen Köpfe mit Honig glasiert wurden, um diese länger als Trophäen zur Schau stellen zu können.
Aber nicht nur in der Mythologie, sondern auch im Volkszauber hat sich Brauchtum aus alter Zeit lange halten können. So wird von einem »Ackersegen« berichtet, in dem Honig zur Wiederherstellung der Fruchtbarkeit eines Ackers eine wichtige Rolle spielte.
Weiterführend
Bei meinen Recherchen habe ich feststellen müssen, dass die Honigbiene als Symbol so unglaublich weit verbreitet und vielschichtig ist, dass eine komplette Übersicht den Rahmen des Artikels sicherlich sprengen würde. Es darf jedoch noch erwähnt werden, dass z.B. Napoleon eine besondere Verbindung mit dem Bienensymbol hatte, genauso wie sie ebenso in der Freimaurerei als Symbol der Ordnung eine wichtige Rolle spielt. Natürlich gibt es dann noch die im Volksmund bekannten Deutungen der Biene in Märchen und Sagen. Ich kann nur jeden dazu ermutigen, seine eigenen Nachforschungen anzustellen, denn hier öffnet sich ein weites, spannendes Feld!
Quellenangaben:
Die Symbolik der Bienen und ihrer Produkte – in Sage, Dichtung, Kultus Kunst und Bräuchen der Völker – Antiquarisch
Biene und Honig im pharaonischen Ägypten – Eine Dissertation von Birgit Sonja Feierabend – Link
Rudolf Steiner über Bienen – Link
Das Sechseck – Eine ideale Naturform von Josef Bauer