In Deutschland ist Mecklenburg-Vorpommern das Zentrum der noch erhaltenen Großsteingräber. Von insgesamt 900 bekannten Stätten in Deutschland befinden sich etwa 300 allein im Nordosten. Dabei gibt es weitere Konzentrationen von besonders gut erhaltenen Großsteingräbern – da wäre zum einen der südöstliche Teil der Insel Rügen sowie der Everstorfer Forst nahe der kleinen Stadt Grevesmühlen. Auch das Rostocker Umland hat in dieser Hinsicht einiges zu bieten – wenn du hier wanderst, kann es dir auch schon mal passieren, dass du wie zufällig über ein altes Großsteingrab „stolperst“. So passierte es mir im Oktober 2017 auf einer Wanderung im Hütter Wohld nahe des Dorfes Parkentin. In der einen Minute wanderst du, siehst ein Schild und drei Minuten später stehst du vor 4000 Jahren Menschheitsgeschichte…
Die meisten Grabbeigaben wurden vorher zerbrochen – vermutlich aus dem Grund, den dem Gegenstand innewohnenden Geist zu befreien, damit er dem Verstorbenen im Totenreich zur Verfügung stand.
Felix Lachmann
Die heilige Stätte wurde in der frühen Bronzezeit errichtet, die etwa zwischen 2200 und 2000 v. Chr. anbrach. Sie wurde für etwa 1200 bis 1400 Jahre zu Ritualzwecken genutzt, bis sie etwa 800 v. Chr. zerstört wurde. Insgesamt besteht Bollbrücke aus acht Hügeln, deren Steine jeweils grob in fünfeckigen Strukturen geordnet sind.
„Entdeckt“ wurde die Kultstätte vom Frühhistoriker und Archäologen Robert Belz im Jahre 1881. Er veranlasste die systematische Ausgrabung und Erforschung von Bollbrücke. Relativ schnell stieß er auf eine 5 – 10cm dicke Schicht aus Asche, Knochen, Tonscherben von Vasen sowie Bronzeschmuck. Daraus schloss er, dass an diesem Ort Begräbnisse und Grabrituale stattfanden. Weitere Untersuchungen ergaben, dass die gefundenen Knochen zu menschlichen Leichen gehört haben müssen, die kauernd oder sitzend begraben wurden. Das steht im Zusammenhang mit Funden aus anderen Orten, sodass Belz mit Sicherheit von einer urzeitlichen Grabstätte ausgehen konnte.
Die meisten Grabbeigaben wurden vorher zerbrochen – vermutlich aus dem Grund, den dem Gegenstand innewohnenden Geist zu befreien, damit er dem Verstorbenen im Totenreich zur Verfügung stand. Insbesondere männliche Leichen wurden daher mit zerbrochenen Waffen beigesetzt. Und siehst du die kleinen Schälchen auf dem Deckstein? Hier wurden höchstwahrscheinlich Opfergaben dargebracht. Frühere Forscher gingen gar von Blutopfern aus, wofür es aber nicht ausreichend Belege gibt.
Irgendwann im Laufe der Zeit muss Bollbrücke zerstört worden sein. Robert Belz fand zwei Schichten aus Tonscherben, Knochen und Asche. Zwischen ihnen befand sich eine sehr dicke Erdschicht – vermutlich eine Folge von Verwüstungen des Kultortes, der dann schließend mit Erde verschüttet wurde. Die Zerstörung fand wohl zwischen 1000 und 800 v.Chr. statt. Die Gründe dafür werden aber wohl im Dunkel der Geschichte bleiben.
Wie bereits gesagt, besteht die Kultstätte aus mehreren Hügeln – einer davon ist besonders interessant. Nach der Zählung von Belz trägt er die Nummer 4. Hier befand sich eine ungewöhnlich runde, aufragende Steinsetzung. In den Zwischenräumen stieß der Archäologe auf kleine Tongefäße, die mit Asche und Knochen gefüllt waren. Eine solche Anlage ist völlig untypisch für die Bronzezeit – ergo kann es nur im Laufe der folgenden Jahrhunderte errichtet worden sein. Belz vermutete hier eine Stätte, an der die Lebenden in Kontakt mit den Verstorbenen traten. Er schreibt in einem Grabungsbericht:
Auch die Annahme, die Urnen seien später von einer nachfolgenden Bevölkerung in den fertigen Hügel eingesetzt, ist unzulässig, da das nur mit Zerstörung des Baues möglich gewesen wäre. Eigenartig in der Bronzezeit ist es auch, daß derselbe nicht auf dem Urboden, sondern auf einem etwa 2 1⁄2 Mtr. hoch aufgeschichteten Hügel aufgeführt ist. Sollten wir auch hier eine Cultusanlage, einen Altar etwa, vor uns haben, in dem gläubige Pietät die Reste der Verstorbenen am Besten geborgen glaubte?
Beltz, Robert: Kegelgräber von Bollbrügge, in: Jahrbücher des Vereins für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde, Band 48 (1883), S. 320 – 330. Hier: S. 328. Abruf: http://mvdok.lbmv.de/mjbrenderer?id=mvdok_document_00002900

Was sich aber tatsächlich zutrug, kann abermals niemand mit Gewissheit sagen…
Letztlich lassen sich drei wesentliche Fakten feststellen:
- Bollbrücke wurde in der Frühen Bronzezeit errichtet.
- Bollbrücke war für 1500 Jahre Ort bronzezeitlichen Totenkults.
- In der Späten Bronzezeit wurde die Stätte verwüstet und anschließend wiederaufgebaut.
Allein diese gesicherten Tatsachen hinterlassen einen unglaublichen Eindruck. Es war nahezu eine magische Atmosphäre und gewiss ein ganz besonderer, intensiver Moment, vor diesen alten Steinen zu stehen. Eingangs erwähnte ich, dass ich mehr oder weniger zufällig über Bollbrücke „gestolpert“ bin und keinerlei Vorwissen hatte. Und vielleicht war das gar nicht das Schlechteste: Während der warme, sanfte Wind eines Oktobernachmittags den Wald flüstern ließ, die allmählich untergehende Sonne durch die Äste und Zweige schien, hinderte der „sachliche“ Verstand nicht die Wahrnehmung dieser mystischen alte Kultstätte.
Wenn du so vor einem alten Heiligtum stehst, dann ist die Abwesenheit der Ratio etwas sehr Schönes. Fast körperlich spürbar war die Vergänglichkeit meiner eigenen Existenz sowie der modernen Gesellschaft überhaupt. Sie ist nur ein Wimpernschlag im Vergleich zur Geschichte der Menschheit. Neben diesem sehr demütigen Gefühl war da ein Gefühl von Verbundenheit, in einer Linie zu stehen mit Generationen über Generationen von Vorfahren. Vielleicht kennst du dieses Gefühl und weißt, was ich meine! Das sind Lektionen, die keine Universität, keine Schule und kein Buch dir beibringen kann – nur die Natur direkt vor deiner Haustür…