Man fühlte instinktiv, dass man etwas Eigenartiges, etwas Neues vor sich habe, etwas Dämonisches, das man sich nicht erklären könnte, das aber dennoch mit suggestiver Kraft wirkte.
Kuno Graf Hardenberg über das Werk Schneiders in « Sascha Schneider auf der Dresdner Kunstausstellung«
Während einer Schiffsrundreise erleidet der Maler und Kunstprofessor Rudolph Karl Alexander Schneider, besser bekannt als Sascha Schneider, einen hypoglykämischen Schock und fällt in ein tiefes Koma. Als das Schiff am 18. August 1927 in Swinemünde anlegt, ist Sascha Schneider den dramatischen Folgen seiner Diabetes erlegen, doch sein künstlerisches Erbe strahlt bis heute in seiner rätselhaften Mystik herüber bis in unsere Gegenwart. Beitragsbild: »Eine Vision« 1897
Psychoanalyse, Naturalismus und soziale Entfremdung— Die Lebenswelt des Künstlers
Die Welt in der, der 1870 in St. Petersburg geborene Maler, Bildhauer und Professor, Sascha Schneider lebt, ist turbulent und widersprüchlich zugleich. An der Schwelle zu zwei verheerenden Weltkriegen ist das politische und gesellschaftliche Klima um die Jahrhundertwende, einerseits geprägt von sozialer Entfremdung durch industriellen Fortschritt und langsam erstarkendem Nationalismus, andererseits entwickeln sich dicht bevölkerte Großstädte wie zB Berlin, München und Wien zu liberalen Kulturzentren innerhalb Europas. Freuds Psychoanalyse und Jungs Archetypen beeinflussen die bildende Kunst mindestens ebenso stark, wie Nietzsches philosophische Schriften, während Einsteins Relativitätstheorie die Welt der Wissenschaft in Aufruhr versetzt. Es gibt für Symbolisten seinerzeit viel Neuland zu entdecken und Schneider macht sich leidenschaftlich daran der menschlichen Natur mit Tempera, Kohle und Öl auf Leinwand nachzuspüren.

Als Sascha Schneider 1893 sein Studium an der Dresdner Kunstakademie beendet und ein Jahr später seine ersten eigenen Ausstellungen in Angriff nehmen kann, wird er mitgerissen vom reformatorischen Geist jener Epoche. Seine Werke entstehen unter dem Einfluss einer Strömung, die in diesen umwälzenden Jahren nicht nur Gesellschaft, Politik und Kunst erfasst hat, sondern auch die Auffassung dessen, was Idealbild des menschlichen Körpers sei, grundlegend verändert. Das Körperbild des Jugendstils mit seinen feingliedrigen Gestalten hat ausgedient. Die umfassenden Ideen der Lebensreform und des Naturalismus machen den vitalen, trainierten Körper, sonnengegerbt und strotzend vor Kraft salonfähig. Er wird zum Sehnsuchtsbild einer Gesellschaft auf dem Weg in die Industrialisierung, die ihr Heil in der romantischen Flucht in eine idealisierte Antike sucht.
Das Körperbild des Jugendstils mit seinen feingliedrigen Gestalten hat ausgedient. Die umfassenden Ideen der Lebensreform und des Naturalismus machen den vitalen, trainierten Körper, sonnengegerbt und strotzend vor Kraft salonfähig.
Der Kunsthistoriker, Museumsdirektor und Maler Kuno Graf von Hardenberg erinnert sich 1904 in einer Ausgabe der Zeitschrift »Deutsche Kunst und Dekoration« an die ersten Jahre des damals noch idealistischen Schneiders wie folgt:
Als Sascha Schneider vor zehn Jahren mit seinen Kartons zum ersten Male an die Öffentlichkeit trat, da war des Geredes kein Ende; einige waren begeistert, viele entsetzt, aber alle waren gefesselt. Man fühlte instinktiv, dass man etwas Eigenartiges, etwas Neues vor sich habe, etwas Dämonisches, das man sich nicht erklären könnte, das aber dennoch mit suggestiver Kraft wirkte.
Kuno Graf Hardenberg – »Sascha Schneider auf der Dresdner Kunst-Ausstellung« erschienen in »Deutsche Kunst und Dekoration« 1904
Soziale Fragen, Mystik & Homoerotik, Sascha Schneiders Werke im Licht seiner Zeit
Kaum der biederen Atmosphäre der Kunstakademie entronnen, beginnt Schneider fieberhaft damit, seine Ideen auf Leinwand umzusetzen. Immer wieder begegnet uns in der frühen Schaffensphase das Motiv des revolutionären Aktes und die damit einhergehende Veränderung starrer Herrschaftssysteme. Es entstehen politisch deutbare Werke wie »Der Anarchist« und »Auf zum Kampf«, aber auch religiöse Themen und Mystik fließen in Schneiders Schaffen ein. Dabei ist zu beobachten, dass der Künstler beileibe nicht nur aus der Quelle christlicher Mystik schöpft.



So findet sich in der Zeitschrift »The Artist« von 1901 ein treffender Artikel über den religiös geprägten Symbolismus in Schneiders Werken:
Sascha Schneider does not confine himself exclusively to Christianity; his fancy travels to Egypt, Assyria and Greece. There is always an idea beneath his art: the weeping of the man tormented by grief, by the problems of humanity, by the mystery of fate, the contradictions of Justice, the cruelty of death and the uncertainty of hope.
Count de Soissons – »Sascha Schneider« erschienen in »The Artist: An Illustrated Monthly Record of Arts, Crafts and Industries« (American Edition) Vol.31 No.261 (Oct.,1901)
In all seinen Werken nimmt die Darstellung der menschlichen Gestalt eine wichtige Schlüsselrolle ein. Schneider stellt dabei überwiegend den männlichen Körper in den Fokus seines Schaffens und stattet diesen, dem Zeitgeist entsprechend, mit athletischen Merkmalen aus. Dies und die Tatsache, dass der Künstler selbstbewusst seiner sexuellen Orientierung folgt, obwohl diese seit 1872 per §175 unter Strafe gestellt war, werden Sascha Schneider später zu einer Identifikationsfigur schwuler Kunst machen.
Seine Freundschaft mit dem Maler Max Klinger beschert dem Künstler derweil Zugang zur etablierten Kunstszene und Schneiders Werke werden einem großen Publikum zugänglich. In diesen Jahren entstehen auch gigantische Wandgemälde als Auftragsarbeiten, unter anderem »Baldurs Sieg über die Mächte der Finsternis« für das Buchgewerbehaus in Leipzig und sein persönliches Monumentalwerk »Um die Wahrheit«. Es fügt sich während dieser produktiven Zeit, dass der Künstler auf einen anderen, wohl bekannten, Protagonisten der Künste jener Jahre trifft. Mit dem Schriftsteller Karl May wird sich Schneider bis zu dessen Tod verbunden verbunden fühlen — es entsteht eine fruchtbare Künstlerfreundschaft und eine eindrucksvolle Zusammenarbeit mit dem Schöpfer von Winnetou und Old Shatterhand.
Karl May und Sascha Schneider — Eine Künstlerfreundschaft

Als Karl May 1903 eine Ausstellung von Schneider besucht, ist er begeistert. Das Monumentalwerk »Um die Wahrheit« hinterlässt einen solch bleibenden Eindruck bei May, dass er Schneider den Auftrag erteilt, ein Wandgemälde für seine Villa Shatterhand in Radebeul anzufertigen. Das Werk, das Schneider für May in Tempera, Kohle und Öl anfertigt, trägt den Titel »Der Chodem« (auch »Das Gewissen« oder »Der Astralmensch« genannt) und versetzt so manchem Besucher des Schriftstellers einen gehörigen Schrecken. Im Zuge der weiteren Zusammenarbeit gibt May 25 neue Deckel-Illustrationen seiner Reiseerzählungen in Auftrag. Sascha Schneider übersetzt die Erzählungen Mays in seinem ganz eigenen Stil in symbolistische Werke, in denen wieder düstere Mystik und der nackte Körper im Ringen mit den Widrigkeiten das Schlüsselelement darstellt. Der rege Briefwechsel zwischen Karl May und Sascha Schneider ist der Nachwelt übrigens erhalten geblieben und bezeugt die intensive Künstlerfreundschaft der beiden Männer. Das Buch »Briefwechsel mit Sascha Schneider« sei an dieser Stelle zur Vertiefung des Themas empfohlen. Als Karl May 1912 verstirbt, entwirft Schneider zwei Ruhebänke mit geflügelten Löwen für dessen Tempelähnliches Grabmal in Radebeul.
Letzte Stationen: §175, Exil in Italien und das »Kraft-Kunst-Institut« in Dresden
Noch während Schneider für Karl May Bilder anfertigt, wechselt er als Professor für Aktmalerei an die Großherzoglich-Sächsische Kunstschule nach Weimar. Hier entstehen in einem neuen Atelier weitere, großformatige Gemälde und Skulpturen. Während dieser Zeit wird Sascha Schneider Verrat und der §175 zum Verhängnis. Um den Erpressungsversuchen seines damaligen Partners Hellmuth Jahn zu entgehen, flieht Schneider nach Italien und bereist schließlich auch den Kaukasus. Nach vielen Umzügen und Neuanfängen verschlägt es den Symbolisten ab 1914 wieder nach Dresden. Doch die Zeiten in denen er breite Anerkennung fand, scheinen vorbei zu sein. In Deutschland wird Schneider mittlerweile aufgrund seiner Homosexualität gemieden, eingereichte Werke mit dem Vermerk: »Aufreizung zur widernatürlichen Unzucht« abgelehnt.

Der 1. Juni 1919 wird für Sascha Schneider noch einmal zu einem Neuanfang. Er will seine gemalten Visionen kräftiger und gestählter Körper auf die Wirklichkeit übertragen und gründet dazu in der Scheffelstraße in Dresden das »Kraft-Kunst-Institut«. In dieser Ausbildungs- und Erziehungsanstalt unterwies ein Sportmeister, ganz im Sinne der Idee des seinerzeit populären Naturismus, junge Männer in Leibesübungen mit dem Ziel, den Körper nach antikem Vorbild zu formen. Schneider selbst übernahm bei diesem Unterfangen die Rolle des künstlerischen Leiters, da er aufgrund eines in der Kindheit erlittenen Unfalls selbst nur bedingt dazu in de Lage war, seine Idealvorstellungen zu verwirklichen.
Schneider muss nach einiger Zeit schließlich erkennen, dass sich die Hoffnungen, die er in das »Kraft-Kunst-Institut« setzt, nicht erfüllen. Den jungen Leuten steht der Sinn mehr nach Kraft als nach Kunst und so verlässt Schneider sein Institut im Jahre 1923. Die nächsten vier Jahre seines Lebens verbringt er überwiegend in Süditalien. Schwer angeschlagen durch private Probleme und eine diagnostizierte Diabetes malt Schneider in diesen Jahren viele Landschaftsportraits und Aquarelle, die jedoch die visionäre Kraft seiner Anfangstage missen lassen. Menschen und gestählte Körper finden sich nur noch selten in seinen Spätwerken. Als Rudolph Karl Alexander Schneider schließlich zu seiner letzten Reise aufbricht, ist er 57 Jahre alt.