
In seinem neuen Buch »Schwarz – Die dunkle Seite der Popkultur« widmet sich Film- und Kulturwissenschaftler Marcus Stiglegger der Dialektik der (Nicht-)farbe Schwarz. Anhand zahlreicher Beispiele weist er nach, wo die Popkultur ihre Nachtseite offenbart – und liefert dabei wertvolle philosphische Denkanstöße.
Schwarz zieht an, saugt ein. Schwarz offenbart zugleich einen Abgrund. Den Abgrund im Selbst. Und den Abgrund, der sich in den Strukturen und Mechanismen der Gesellschaft auftut. Professor Dr. Marcus Stiglegger, Filmwissenschaftler und Kulturanalytiker, legt diese – dem Subkultur-Gänger wohlbekannte – Dialektik seinem jüngsten, im Martin Schmitz Verlag erschienenen Buch »Schwarz – Die dunkle Seite der Popkultur« zugrunde, das sich auf rund 200 Seiten den Aspekten und Randbereichen widmet, in denen Pop- und Subkultur ihre mal dunkel-schillernde, mal verstörende Nachtseite offenbaren. Bei aller Schwärze ist die Lektüre doch eine erhellende, die neue Perspektiven auf vertraute Phänomene gewährt.
Bei aller Schwärze ist die Lektüre doch eine erhellende, die neue Perspektiven auf vertraute Phänomene gewährt.
Dass eine derartige Analyse in so kompaktem Format nicht erschöpfend sein kann, ist selbstredend. Zu weit verzweigt, zu umfassend ist das Feld, an dem sich das vorliegende Werk abarbeitet. Stiglegger löst dieses Problem, indem er im Zuschnitt einen subjektiv-essayistischen Ansatz wählt; ganz im Sinne des Zitats aus der Feder des Philosophen Alain Badiou, das den Ausführungen vorangestellt ist: »The Blackness of the soul is never a simple presence; it’s always a revelation.« Nicht zuletzt mit Blick auf die Tatsache, dass »Schwarz« zu Stigleggers 50. Geburtstag erscheint, liest es sich wie das gedankliche Extrat einer Person, die sich den dunklen Subkulturen seit Jahrzehnten sowohl als Fan und Akteur als auch als kritsch reflektierender Denker leidenschaftlich verschrieben hat.
Wer bereits mit anderen Publiktionen Stigleggers vertraut ist, den wird die Themenwahl somit kaum überraschen: Von Musikrichtungen wie Gothic Rock, Post Punk und Neofolk, extremen Metal-Stilistiken über Modeerscheinungen wie die Uniform und die Undercut-Frisur bis hin zum abseitigen, transgressiven – im Sinnen von: grenzüberschreitenden – Untergrundfilm widmet der Autor die verschiedenen Kapitel spezifischen Aspekten seiner privaten wie wissenschaftlichen Obsessionen, ohne dabei je die kritische Distanz zu verlieren. Somit knüpft »Schwarz« in Teilen an bereits erschienene Schriften wie »Nazi-Chic und Nazi-Trash: faschistische Ästhetik in der populären Kultur« sowie »Terrorkino – Angst/Lust und Körperkino« an. Die Entwicklung der dunklen Popkultur präsentiert Stiglegger in »Schwarz«, dessen Herzstück in die Blöcke »Schwarz Popkultur – (Ok)kultur, Film und Musik«, »Schwarze Mode – Fetisch, Eleganz und Begehren« sowie »Schwarze Flaggen – Politik, Pop und Terrorismus« gegliedert ist, als die Geschichte eines zumindest doppelten Verlustes der Unschuld.
»Die Popkultur hat im Jahr 2020, über ein halbes Jahrhundert nach dem ›Summer of Love‹, ihren eigenen Abgrund derart verinnerlicht, dass sie selbst zu einem Medium totalitärer Ideologie werden konnte.«
Marcus Stiglegger
Das Jahr 1968, Moment einer Defloration: Filme wie »Rosemary’s Baby« (Roman Polanski), »Night Of The Living Dead« (George A. Romero) und »Witchfinder General« (Michael Reeves) revolutionieren den fantastischen Film. Der sollte fortan für mehr stehen als nur für visualisierte Schauergeschichten, sondern als »schwarzer Spiegel der Gesellschaft« funktionieren – eine Reaktion auf die Abgründe der sich schon bald im Niedergang befindenden Hippie-Counter-Culture. Das schildert Stiglegger zu Beginn seiner Ausführungen, die später mit einem Kapitel über »Schwarze Flaggen im Namen Allahs – Populäre Ästhetik islamistischer Propagandamedien« enden werden, in dem sich schließlich eine völlig neue Dimension von Schuld zeigt: In seinen Propagandavideos verarbeitet der Islamische Staat Aufahmen realer Hinrichtungen mit Mitteln des Hollywood-Kinos und etabliert so auf zynisch kalkulierte, radikal immoralische Weise ein antiwestliches Gegennarrativ. Stiglegger: »Die Popkultur hat im Jahr 2020, über ein halbes Jahrhundert nach dem ›Summer of Love‹, ihren eigenen Abgrund derart verinnerlicht, dass sie selbst zu einem Medium totalitärer Ideologie werden konnte.«
Als ein schlüssiger roter Faden ziehen sich Eugene Thackers drei philosophische Definitionen von Schwarz durch den Band, die der Autor in der Einleitung kurz vorstellt: Schwarz steht für Satanismus, Opposition und Inversion; für Paganismus, Ausschluss und Alterität; auch für einen kosmischen Pessimismus nach Schopenhauer »mit seiner dunklen Metaphysik, der Negation und des Nicht-Menschlichen«.
So schildert Stiglegger etwa, wie das Fehlen von Ritualen in den westlichen Industriegesellschaften zu Orientierungslosigkeit und Entfremdung führt…
Davon ausgehend entfaltet sich allerlei Bedenkenswertes, das – vom Ästhetischen ausgehend – auch wervolle Denkimpulse für die gesellschaftspolitische Debate zu geben vermag: So schildert Stiglegger etwa, wie das Fehlen von Ritualen in den westlichen Industriegesellschaften zu Orientierungslosigkeit und Entfremdung führt – und weist dann in verschiedenen Coming-of-Age-Filmen nach, inwiefern dort extremer Metal als Passegeritus, als Ritus des Übergangs für die Zeit des Erwachsewerden, funktionieren – oder: eben nicht funktionieren – kann. Der faschistische, gestählte Männerkörper in der populären Kultur wird, unter Berufung auf Thesen von Klaus Theweleit, als mediales Abbild eines »Körperpanzers« gedeutet, der in seiner »trockenen«, steifen Erscheinung als dezidierter Gegensatz zum »feuchte«, fluiden Weiblichen fungiert.
All das ist auch für den Laien, dessen Wissen über Kulturwissenschaft und Philosophie nicht in die Tiefe geht, gut nachvollziehbar und angenehm, durchaus auch in einem Anlauf zu lesen – ohne sich dem allzu simplifiziernden Stil populärwissenschafticher Publikationen anzubiedern. Teils farbiges Bildmaterial veranschaulicht die geschilderten Szenen, Ästhetiken und Performances. Das mit akademischer Akribie geführte Quellenverzeichnis lädt zum eigenen Vertiefen, Weiterlesen und ‑forschen ein – worauf die zitierten Thesen ein ums andere Mal Lust machen.
Nach dem schwerverdaulichen Exkurs in den Islamischen Staat entlässt ein lesenswertes Gespräch zwischen Stiglegger und dem Kulturkritiker Christian Fuchs über deren verschiedene Herangehensweisen an die dunklen Aspekte des Pop die Leser »on a lighter note« – und führt zurück ins Licht, das in der Dialekt der (Nicht-)farbe Schwarz ohnehin stets mitgedacht ist. Stiglegger: »Das Leben erweist sich als konstante Mühe, daher ist Tanz zwischen Boden und Abgrund, zwischen Licht und Schatten elementar. Ohne diesen Abgrund würde nichts existieren, was uns wirklich angeht, aber wir brauchen das Licht, um den Blick in die Schwärze zu überleben…«
Marcus Stiglegger: „Schwarz – Die dunkle Seite der Popkultur“
Martin Schmitz Verlag, Berlin 2021
202 Seiten, 18 Euro