© Text und Bilder: M.A. Caroline Maxelon / Black Moon Vagabond
Sommersonnenwende: Der längste Tag und die kürzeste Nacht, der Jahreskreis ist bestimmt von Licht, Sommer und Lebensfreude… Doch bei genauerer Betrachtung der Natur sehen wir in den Wäldern die Tollkirschen blühen, gleichzeitig wunderschön und tödlich giftig und während wir vielleicht ihre Blüten und Früchte für die Hexenkunst pflücken, uns in der dichten Botanik bewegen, schlägt uns ein süßlich-abstoßender Geruch entgegen. Die Suche nach seiner Herkunft endet an einem toten Dachs, dessen Schädel und Skelett dank Maden, Käfern und anderem Gewürm schon fast freiliegen. Ein grausiger Anblick – oder auch nicht – denn gedanklich steht der kostbare Schädel dieses schamanischen Tieres der Kräuterkunde und Heilkunst doch schon auf dem heimischen Naturaltar…
Wir wissen, dass der Höhepunkt des Sonnenlichts nun überschritten ist und die Tage schon in wenigen Wochen merklich mehr und mehr von der Dunkelheit beherrscht werden. Für unseren Dachs endete der Sommer nicht in Licht und Fülle, sondern im Tod, der im selben Moment für die Welt der Insekten ein kleines Paradies eröffnet hat und neue Nährstoffe für die Tollkirschen hinterlässt. Die Natur hat nicht nur eine helle, lichte Seite! Wo Licht ist, ist immer auch Schatten:
Die dunkle Seite der Natur!
Die Suche nach seiner Herkunft endet an einem toten Dachs, dessen Schädel und Skelett dank Maden, Käfern und anderem Gewürm schon fast freiliegen.
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Der naturspirituelle Mensch der heutigen Zeit wird überflutet von einer in jeder Hinsicht kommerzialisierten Welt, Spiritualität und Religiosität sind käuflich geworden – im Angebot durch Menschen, die mit der Materie selbst persönlich oft Nichts zu tun haben, sondern sich nur in den Vermarktungsstrategien der westlichen Welt bestens auskennen und sich den Zeitgeist mit seinen Bedürfnissen eben zunutze machen. Selbsternannte „Schamanen“, die ihre kostspielige schamanische Ausbildung und die Kräuterpädagogik gerade erfolgreich in einschlägigen Schulen und Akademien absolviert haben, präsentieren sich an anderer Stelle in weißen Gewändern und mit offenen Armen, lachend und freudentanzend in der Natur, um uns aus voller Überzeugung zu helfen und uns gegen Bezahlung glücklich zu machen. Welch eine schöne und so harmonische Welt um uns herum doch scheint! Mit dem Motto „Licht und Liebe“ können wir schließlich Alles erreichen und werden dabei vollkommen wohlfühlend und mühelos zu unserer Selbstverwirklichung gelangen, so lautet ihr Versprechen… Solange wir nur ihren blendenden Vorgaben folgen und uns keinesfalls irgendwelchen finsteren, „bösen“ Dingen zuwenden, die von ihnen auch ganz simpel in der Farbe Schwarz oder in bestimmter „teuflischer“ Musik definiert werden…
Der naturspirituelle Mensch der heutigen Zeit wird überflutet von einer in jeder Hinsicht kommerzialisierten Welt, Spiritualität und Religiosität sind käuflich geworden
Black Moon vagabond
Das Schwarz-Weiß-Denken früherer Jahrhunderte existiert genauso in der heutigen Gesellschaft wie die klassischen Klischees. Die vermeintliche „Erleuchtung“ unseres Zeitalters hat uns hier kaum vorangebracht. Naturspiritualität und Dunkelheit – es kann ja nicht sein, was nicht sein darf! Und doch… Ich verbinde in meiner Arbeit beide Aspekte und überschreite damit, als Autorin und angehende Person der Öffentlichkeit sicher Grenzen, beschreite aber auch Neuland außerhalb aller bestehenden Dogmen. Als vermeintlich irrgeleitete Persönlichkeit mit einer Vorliebe für schwarze Kleidung, wurde mir auch schon die Typberatung – selbstverständlich nur zu meinem Wohl, aber außerdem zu meiner besseren Verkäuflichkeit – wohlmeinend angeraten. Doch ich verzichte gern auf die Wollsocken in allen Regenbogenfarben und auf das aufgesetzte übertriebene Lachen, zugunsten meiner Würde und Authentizität, mit schwarzem Hut und vor der Natur, die mir Alles im Leben gibt. Wir sind ihre Geschöpfe und sind exakt so, wie sie uns gelehrt und auf unsere Aufgaben vorbereitet hat, richtig. Dazu gehört, vollkommen indiskutabel, auch der Weg der „Dunklen Naturspiritualität“.
„Dunkle“ und „Helle“ Naturspiritualität gibt es in diesem Sinne selbstverständlich nicht, genauso wenig wie „Weiße“ und „Schwarze“ Magie – auch wenn wir sie in unseren Weltbildern natürlich derart gestalten können. Licht und Dunkelheit bilden eine ewige Einheit in der Natur und ihrer Transzendenz. Doch es ist nicht unsere Aufgabe, die Dunkelheit in uns zu bearbeiten und zugunsten des Lichts auszumerzen, um „bessere“ Menschen voller Licht und Liebe zu werden. Nein! Die Kunst ist es, unsere dunkle Seite anzuerkennen und uns auch darin zu verwirklichen, sie für unseren persönlichen Lebensweg und unser seelisch-geistiges Wachstum produktiv einzusetzen. Geschieht dies rituell in tiefer Verbindung mit der Natur und auch ihrer dunklen Seite, vielleicht mithilfe schamanischer Praktiken oder auf den ganz traditionellen Hexenpfaden, die sowieso untrennbar mit der Natur verknüpft sind, so spreche ich gern von „Dunkler Naturspiritualität“. Denn dieser Begriff vermag es, all die Individualität dieser Wege angemessen in sich zu vereinen, ohne zu werten und ohne auszuschließen. Die Natur lehnt uns als ihre suchenden Geschöpfe niemals ab und schwarze Kleidung ist genauso wenig ein Kriterium wie weiße. Nur die Tore in der sichtbaren und unsichtbaren Welt der Natur, die wir mit den jeweiligen naturspirituellen Praktiken für uns öffnen können, unterscheiden sich je nachdem, mit welchen ihrer Kräfte, Mächte und Gottheiten wir uns verbinden.

Meine persönlichen Gründe, auch die dunklen Pfade der Naturspiritualität zu beschreiten, sind lebenslang. Als ewige Außenseiterin hatte ich geistig freien Raum, hinzusehen und mir meine eigenen Gedanken zu machen. Ich würde mein bisheriges Leben nicht als glücklich, behütet und sorglos beschreiben. Ich war immer allein und musste mir selbst helfen. Es gab kein Licht, es gab keine Liebe – aber es gab, da es ja keine Leere gibt, eine Fülle von Leiden und Dunkelheit… Und es gab mich selbst sowie die Dinge in und aus der Natur, die mir trotzdem Freude mach(t)en und mein Leben bereicher(te)n. Für all die Finsternis empfinde ich dennoch tiefste Dankbarkeit. Erst sie kann uns wahrlich zu unserer Selbstverwirklichung führen, denn sie ist eine Herausforderung. Nur in der Dunkelheit können wir unser Licht aus uns selbst heraus zum Leuchten bringen. Je mehr wir uns bemühen müssen und je mehr wir dafür kämpfen müssen, desto stärker werden wir aus diesen Phasen hervorgehen. Auch darin, zu uns selbst zu stehen. Je wichtiger unsere Aufgaben im Leben sind, desto mehr Mut und Kampfgeist fordert es von uns. Auch die Natur und ihre Geisterwelt werden uns prüfen, wenn wir uns naturspirituell berufen fühlen. Erst in dieser Dunkelheit werden wir also tatsächlich zu uns selbst finden und können die Tore für uns öffnen, wenn wir bereit sind und den Willen dazu haben, unsere Grenzen zu überwinden und alle Ängste und Bequemlichkeiten zurückzulassen, um diese persönlichen Prüfungen zu bestehen und unseren Sinn zu finden.
Mit aktiver oder passiver Zerstörung wird auch immer Potenzial in Bewegung gebracht und freigesetzt: Sei es, dass wir Lebensphasen verabschieden (müssen) und in unserem Leben damit Raum für Neues und positive Veränderungen ermöglichen.
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Schwarz ist die Farbe der Geheimnisse und Mysterien – dessen, das wir nicht direkt sehen können. Schwarz ist die Farbe des absoluten Potenzials und des Transzendenten. Transformation geschieht erst im Erlöschen des Lichts und in der Neuerschaffung aus dieser Dunkelheit heraus, die eben nicht Leere ist, sondern Alles in sich vereint. So ist es kein Zufall, dass in der Natur die schwarzen Raben und Krähen als Göttervögel genauso für das Dunkle wie für die Schöpferkraft stehen, für Transzendenz und Transformation sowie für das mysteriöse Unsichtbare, für die Anderswelt. In gleicher Weise und doch anders tut es Weiß, als Farbe des heiligen und Spirituellen, ohne die wir weder das Eine noch das Andere überhaupt wahrnehmen und fühlen könnten. Alle diese Aspekte sind untrennbar miteinander vereint. Im Norden unseres Landes zeigen uns schwarze Rehe neben normalgefärbten, eigentlich Symboltiere der Sonnenkulte, mit ihrem außergewöhnlich „fehlgefärbten“ dunklen Fell diese Dualität von Licht und Dunkelheit in der Natur, während ein weißes Reh zweifellos ein Wesen der Geisterwelt ist, das eine ganz besondere Bedeutung hat.
Mit aktiver oder passiver Zerstörung wird auch immer Potenzial in Bewegung gebracht und freigesetzt: Sei es, dass wir Lebensphasen verabschieden (müssen) und in unserem Leben damit Raum für Neues und positive Veränderungen ermöglichen. Sei es, dass wir in einer Räucherung bewusst Pflanzen verbrennen, also ihre physische Existenz auflösen und mit dem Freisetzen der Pflanzengeister in der unsichtbaren Welt gewünschte Prozesse in Gang bringen. Sei es, dass in den Wäldern, wenn es sein soll, das heilige Blut eines erlegten Wildes den Boden tränkt und dieses Opfer an die Geisterwelt dazu beiträgt, die Kommunikation und magische Arbeit in der Natur auf eine Art und Weise zu bedingen, die sich von anderen Praktiken in ihrer Intensität und Wirksamkeit unterscheidet. Zerstörerisches Potenzial und Schöpferkraft, die sich im Gleichgewicht befinden, haben eine fast grenzenlose Macht der Verwirklichung und Freiheit und sind sehr segensreich. So ist es geradezu sinnvoll, seine Stärke auch aus der Dunkelheit zu beziehen und beides auszuleben.

Soviel sie uns geben kann, wir können diese Dunkelheit trotzdem nie vollkommen überwinden, denn wir sind als Menschen, wie alle Geschöpfe, Teil der Natur und ihrer Vergänglichkeit. Wie bei jedem anderen Lebewesen auch, unterliegt unser Leben in seiner manifestierten Form ebenso der physischen Vernichtung durch eben jene Dunkelheit. Aber wäre diese ewige Zerstörung und Neuerschaffung in der Natur nicht so, wie sie ist, dann hätte die Dunkelheit unser Licht auch nie hervorbringen können. Dunkle Naturspiritualität bedeutet deswegen auch, sich dieser Kreisläufe zu besinnen und sie beispielsweise im Jahreskreis zu zelebrieren. Unser Tierschädel auf dem Naturaltar darf uns gefallen und faszinieren, „the beauty in death“, dies ist natürlich und keine sündhafte und schändliche, kontraproduktive Handlung. Es ist fester Teil dieser Welt, welcher auch der kulturell westliche, „moderne“ Mensch trotz aller Überheblichkeit gegenüber der Natur nicht entfliehen kann. Andere Kulturen, welche diese Tatsachen nicht verdrängen, bringen uns einen anderen Umgang mit diesen Themen nahe, so wie dies auch die ureuropäischen schamanisch orientierten Kulturen wieder sehr stark in unser Bewusstsein bringen. Letztendlich können wir unser Leben und unser Licht nur wirklich wertschätzen, wenn wir in der Dunkelheit, nach Arbeit und nach manchen Selbstopfern, in Dankbarkeit, ihre Einmaligkeit und Kostbarkeit wahrnehmen und erkennen. Dies ermöglicht uns die dunkle Seite der Natur besonders dann, wenn wir auch in dunkler Naturspiritualität wandeln.