Es ist November in Berlin. Buntes Herbstlaub hat sich gnädig wie ein gelb-rotes Narrengewand auf den Unrat gelegt, der hier so charakteristisch manche Straße säumt. Im Minutentakt pumpt der öffentliche Nahverkehr Menschenströme aus U‑Bahnstationen und S‑Bahnhaltestellen hinein in die kühle Luft eines goldenen Hauptstadt-Herbsttages. Auch wir lassen uns unterirdisch mit dem Puls der Stadt treiben, bis uns die U‑Bahn in der Warschauer Straße zusammen mit tausend anderen Reisenden hinein in den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg spült.
Das Ziel unserer Wochenend-Unternehmung liegt von der Haltestelle Warschauer Straße nur einen Steinwurf weit entfernt. Mitten im quirligen Szene-Bezirk der Revaler Straße, genau gegenüber des RAWGeländes, befindet sich das Tattoo-Studio „Symbol-Tattoo“. Hier hat der gebürtige Kölner Benjamin Greif, besser bekannt unter dem Künstlernamen B.Ignorant, seine kreative Heimat gefunden. Seine unverwechselbare Handschrift ist es, die uns aus der fränkischen Kleinstadt in den pulsierenden urbanen Moloch gelockt hat, eine Handschrift die wir in den nächsten zwei Tagen mehr als hautnah erleben dürfen.
Als wir am Studio ankommen lehnt ebenjener B.Ignorant flankiert von zwei Graffitis, eine Zigarette rauchend, im Türrahmen des Studios in der Revaler Str. 16. Das eine zeigt eine Pfaff-Nähmaschine und gibt Hinweis auf die angeschlossene Näherei nebenan, das andere stellt das Griffstück einer Tattoomaschine dar. Keine der beiden Darstellungen trifft dabei jedoch den Kern von B.Ignorants kreativer Arbeit hier im Bezirk Friedrichshain.
Denn der Herr mit der auffälligen Erscheinung, zu der, neben einem opulenten Backenbart, auch eine tätowierte horizontale Linie im Gesicht gehören, kann mit Fug und Recht zu Deutschlands kreativsten Handpokern gezählt werden. B. Greif ist keine im Gleichtakt vor sich hinsurrende Mainstream-Nähmaschine, dafür ist seine Auffassung von dem was (Tattoo-)Kunst ausmacht auch viel zu unbequem und kantig. Nicht nur einmal blitzt im Gespräch eine tiefe persönliche Abneigung gegenüber dem glatten Photoshop-Realismus durch, welchen manch ein Hautperforator als Kunst mit hohem Anspruch verkauft. Dementsprechend entstehen seine eigenen Werke auf dem Medium Haut auch ausschließlich per Hand und ohne elektrisches Gerät, wobei der Autodidakt alle scheinbaren Restriktionen und Einschränkungen des Handpokings mit Freuden in Kauf nimmt.
Greif möchte sich in seinem gesamten Wirken dementsprechend auch nicht als Künstler, sondern als Kunsthandwerker verstanden wissen und sieht sich dabei eher in der Tradition der mönchischen Kopisten, Holzschneider und Kupferstecher.
Wie das Selbstverständnis als Kunsthandwerker dann konkret aussieht, wird deutlich, als wir ihm in sein kleines Hautscriptorium folgen, das B.Ignorant im „Symbol-Tattoo“ als Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Die von Hand gefertigten Drucke, die in der Wohnung des Wahlberliners auf Linolschnitt-Basis entstehen und die er auch online mit seinem Shop Haereticum vertreibt, teilen sich hier den Platz an den Wänden mit den Stencils bereits tätowierter Motive.
Dass man dabei „ketzerisches Kunsthandwerk“ jedoch keinesfalls mit Respektlosigkeit gegenüber den Vorstellungen anderer verwechseln sollte, wird am Beispiel seiner, oft mit okkulter Symbolik bedruckter, Bibelseiten deutlich. Greif betont in diesem Zusammenhang, dass er für seine Drucke zwar antike Bibeln benutzt, diese aber damals in hoher Stückzahl für ein Massenpublikum hergestellt wurden. Er käme hingegen niemals auf die Idee Seiten einer historischen Gutenberg-Bibel bedrucken zu wollen, dafür wäre sein Respekt vor dem historischen Wert viel zu groß.
So tanzen in der Welt des Handpokers suizidale Landsknechte, Pestärzte, Folteropfer, Engel und Heilige, sowie Teufel und Dämonen über das Papier hinaus auch auf den Häuten seiner Kunden ihre mal makaberen, oft schwer skurrilen Totentänze in buchstäblich handwerklicher Perfektion.
Während unsere Tattoo-Vorlagen vorbereitet werden, plaudern wir ein wenig und erfahren mehr über die grafischen Leidenschaften und vielfältigen historischen Interessen, die den Kunsthandwerker antreiben. Wo andere Künstler auch gerne mal exzessiv das Internet zur Recherche bemühen, sammelt Greif historische Vorlagen, Münzen und Drucke für sein Privatarchiv, die ihm als Inspiration für unverbrauchte Ideen dienen und seine Flashbücher füllen.
So tanzen in der Welt des Handpokers suizidale Landsknechte, Pestärzte, Folteropfer, Engel und Heilige, sowie Teufel und Dämonen über das Papier hinaus auch auf den Häuten seiner Kunden ihre mal makaberen, oft schwer skurrilen Totentänze in buchstäblich handwerklicher Perfektion. Egal wie vielfältig sich die gezeigten Darstellungen auch ausnehmen, die Handschrift Greifs ist immer durchwoben von einem schelmischen „Crust-Einschlag“, der nur unzulänglich zu beschreiben und unmöglich zu kopieren ist. Begründet liegt dieser Unterton wohl auch in der subkulturellen Prägung, die ihn über die Punk & Crust Szene, den Hip-Hop und schlussendlich in die Gefilde von Neofolk und Black Metal geführt hat.

Und Blackmetal spielt eine nicht geringe Rolle im Greifschen Universum. Als die Nadel schließlich zu den ersten Klängen von WITTR›s „Thrice Woven“ begleitet von dem Handpoke-charakteristischen Ploppen, in die eigene Haut fährt wird klar, dass auch das grafische Vokabular okkulter Musik Eingang in das Portfolio des „Peikers“ gefunden hat. So fließt die Zeit Punkt für Punkt mit der schwarzen Tinte dahin, während sich B. Greif immer mehr als interessanter Gesprächspartner mit Attitüde herausstellt, dem auch eine gewisse Selbstironie nicht fremd ist. Positive Eigenschaften, die man sowohl in der Musik als auch in der Kunstszene heutzutage lange suchen muss. Als wir Berlin dann Richtung Heimat wieder verlassen sind wir nicht nur um zwei wundervolle Tattoos und eine tolle Erfahrung reicher, sondern durften in B.Ignorant einen interessanten Kunsthandwerker kennenlernen, dessen Arbeiten, wenn sie denn einen Klang hätten, wie ein Bastard aus Urfaust, Dödsrit und Fall of Efrafa klingen würden…
Besucht B. Ignorant online in seinem Shop Haereticum